PRENZLAUER BERG IM WINTER 2015 (2)

„Öfter mal einen Baum pflanzen“

Magazin Prenzlauer Berg Zeitung
Kleines Grün schafft Lebensqualität: Bürgersteig-Idylle im Winskiez.

Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Jahr. Es ist das Jahr 16 in diesem 3. Jahrtausend. Schwellen sind gute Orte für Grundsatz-Fragen. Wo steht Prenzlauer Berg, dieser unaufhörlich beliebte Stadtteil? Wohin verändert er sich – wenn er sich denn noch verändert? Eine Standortbestimmung mit den Visionären von Prenzlauer Berg.

Ein paar Erdbeerpflanzen grünen noch. So frisch und saftig, dass man unvermittelt nach den dazu gehörigen Erdbeeren Auschau hält. Diese kleinen Walderdbeeren, süß und erdbeerig. Das ist natürlich jetzt, mitten im Winter und mitten im Freien in Prenzlauer Berg, nicht möglich. Erdbeeren im Januar!
Die Erdbeerpflanzen überdauern den Winter auf dem Friedhof an der Heinrich-Roller-Straße. Auf kleinen, in Holz gefassten Hochbeeten. Fünf Beete an der Zahl, die alte Friedhofsmauer trennt sie von der Straße, nebenan ist der Leise-Park. Salbei steht da auch und die wilden Reste eines Grünkohls. Das ist ein schönes Paradox – oder auch nicht: Ein Garten auf dem Friedhof. Wachstum und Blühen in Nachbarschaft zu den Gräbern. Möglicherweise erzählen die Hochbeete neben Grabstellen sehr genau davon, wie der natürliche Kreislauf von Werden und Vergehen und Wieder-Werden auch im urbanen Raum möglich ist.

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Werden und Vergehen im urbanen Raum: Die Hochbeete der Grünen Liga auf dem Friedhofgelände an der Heinrich-Roller-Straße.

Es ist auch eine schöne Vision. Die natürlichen Lebenszyklen von Mensch und Natur verbinden sich im großstädtischen Alltag, schaffen einen eigenen Lebens-Raum. Den kleinen Garten auf früherem Friedhofsgelände hat die Grüne Liga im vergangenen Jahr angelegt. Jetzt sucht sie Mitnutzer, die mit dem beginnenden Frühjahr Obst, Gemüse, Grünpflanzen anbauen und sich um dessen Pflege kümmern wollen.
Dass Berlin grüner wird, das beschreibt Karen Thormeyer denn auch als die Intention des Öko-Netzwerkes Grüne Liga, genauer, ihres Landesverbandes. Um gleich darauf zu konkretisieren, dass Berlin im Vergleich zu anderen Städten durchaus schon sehr grün sei, mit all den Parks und Grünanlagen. Ein grünes Berlin meint indes auch die Lebensweise seiner Bewohner. Prenzlauer Berg, der sich so gern als Öko-Vorreiter sieht, hat hier durchaus noch Entfaltungsmöglichkeiten.
Im Bio-Laden einzukaufen, sei ein guter Anfang. Doch für eine nachhaltige Lebensweise, die nur so viel Ressourcen verbraucht, wie auch wieder entstehen können, reiche sie nicht aus. Gern erzählt Karen Thormeyer das Gegen-Beispiel ihres eigenen Hauses in Prenzlauer Berg, in dem sie seit vielen Jahren wohnt. Wie früher die Mülltonnen immer weniger wurden, weil die Bewohner auf Müllvermeidung achteten. Wie seit einiger Zeit die Müllberge wachsen, immer mehr Tonnen angeschafft werden und dennoch nicht ausreichen.

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Für den Garten an der Heinrich-Roller-Straße sucht die Grüne Liga noch Mitnutzer. Fotos (3): al

Karen Thormeyer leitet das Berliner Büro in der Greifswalder Straße. Nimmt man den Verlauf ihres Gesprächs mit den „Prenzlberger Ansichten“ als typisch für ihre Arbeit, hat sie auch 25 Jahre nach der Gründung der Grünen Liga noch alle Hände voll zu tun. Das Telefon klingelt unaufhörlich – es geht um Fragen nach dem Ökomarkt auf dem Kollwitzplatz, nach dem Umweltfestival. Grüne Visionen, die längst etabliert sind. Der Ökomarkt steht in jedem Reiseführer und wird zugleich von vielen Prenzlauer Bergern genutzt. Das Umweltfestival ist im 20. Jahr seines Bestehens und versammelt jeden Frühsommer am Brandenburger Tor Anbieter, Dienstleister und Händler nachhaltiger Produkte. Das Publikum besteht aus interessiertem, ökologisch Bewussten und zufällig Vorbeikommenden. Die abschließende Sternfahrt per Fahrrad gehört zu den schönen auto- und abgasfreien Höhepunkten jedes Berlin-Jahres.
„Urbane Paradiese“? Oder besser „Berliner Kiezgrün“? Gerade sucht die Grüne-Liga-Geschäftsführerin gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden nach einem neuen Titel für das Hof-Begrünungsprogramm des Jahres 2015. Der alljährliche Wettbewerb, für den sich Hausgemeinschaften bewerben können, um mit entsprechender Förderung und Beratung ihre Hinterhöfe grüner zu machen, soll noch stärker etabliert werden. Rund 50 Hinterhöfe in Pankow sind seit dem Start des Programms begrünt worden. Ein Büchlein des Vorjahres versammelt sie gemeinsam mit anderen Berliner Hofgärten. Es sind tatsächlich Oasen, deren Grün gerade in diesen Wintermonaten besticht: Weidengänge und Kletterpflanzen; Liegewiesen mit Staudenbeeten und Insekten-Hotels, Hochbeete neben Tischtennis-Platten und Gartenbänken, über denen sich Rosen ranken – Facetten der Vielfalt, wie sich städtisches Hinterhof-Leben natürlicher gestalten lässt.
Spricht Karen Thormeyer über diese grünen Höfe, dann nennt sie neben dem Grün-Effekt auch einen anderen. Das Programm stärkt die Nachbarschaft bzw. lässt sie überhaupt wachsen. Wer gemeinsam gärtnert, sich mit der Hausverwaltung über Bäume, Beete und Co verständigt, der findet sich zu einer Hausgemeinschaft zusammen.
Berlin wird mit dem Grüner-Werden also auch sozialer. Auch das ist eine schöne, sehr praktikable Vision gemeinsamen Lebens in der Stadt. Sie stärkt die Verantwortlichkeit für sich selbst, seine Nachbarn und seinen Lebensraum. Und eigentlich ist das ganz einfach, zumindest, wenn man Karen Thormeyer zuhört, deren Geschäftsstelle mit Rat und Hilfe und Ideen für ein grünes Berlin auch im 25. Jahr ihres Bestehens zur Verfügung stehen wird. „Öfter mal einen Baum pflanzen“, sagt sie zum Abschied. „Einfach wagen.“
Katharina Fial (Januar 2015)