CARL-LEGIEN-SIEDLUNG

Anwohner:innen wollen Zukunftswerkstatt

In der UNESCO-Welterbe-Wohnstadt Carl Legien sorgen sich Anwohner:innen für ein zukunftsfähiges und denkmalgerechtes Leben. Ein absurder Streit um gepflanzte Bäume konnte, so scheint es, beigelegt werden. Nun steht der nächste Schritt an. 

Sie stehen, zerbrechlich und stolz zugleich, auf der schmalen Grünanlage vor dem Wohngebäude in der Gubitzstraße 37/38. Zwei Rotdorn-Bäumchen, von Anwohner:innen gepflanzt auf eigene Kosten. Seit Frühjahr 2021 stehen sie da und sind, optimistisch formuliert, der Beginn einer guten Geschichte. 

Diese Geschichte handelt von Zukunft, Partner:innenschaft, von Gemeinsinn und Verantwortungsgefühl für die Siedlung. In die andere, die pessimistische Richtung erzählt, verläuft die Geschichte entlang verwirrender, bürokratischer, oft einseitiger bzw. fehlender Kommunikation. Möglicherweise gewinnt nach achtjähriger Dauer nun die optimistische Variante. Das lassen ein öffentlicher Protest von rund 40 Anwohner:innen Mitte November und ein klärendes Gespräch mit der zuständigen Bezirksstadträtin Rona Tietje erwarten. 

Die Rotdorn-Bäumchen sollten eigentlich gefällt werden, weil sie dem Denkmalschutz widersprechen – so zumindest die Anweisung des zuständigen Grünflächenamtes. Bei Androhung von 10.000 Euro Bußgeld sollten die Anwohner:innen das kleine Grün wieder entfernen. Dies scheint nun, bei Redaktionsschluss dieser Zeitung, vom Tisch. „Positive Signale“, so Carel Mohn, einer der Initiatoren, habe Rona Tietje dafür gesendet. Diese positiven Signale können der Auftakt zu einem seit lange erwünschten Dialog der Anwohner:innen und des Bezirksamtes über Lebensqualität und Klimaschutz in der Siedlung an der Erich-Weinert-Straße werden.

#prenzlauerberg
Welterbe, das Anwohner:innen klima- und denkmalgerecht gestalten wollen: Die Carl-Legien-Siedlung.

JAHRELANGES BEMÜHEN

Die Fakten rund um die zwei Rotdorn-Bäumchen: Im Jahr 2008 wird die Carl-Legien-Siedlung ins UNESCO-Welterbe aufgenommen. Einige Jahre zuvor denkmalgerecht saniert, gilt sie als Zeugnis Neuen Bauens aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ihr architektonisches Konzept, das einer neuen Gesellschaft dienen sollte: Modern, luftig und hell, mit einer solidarischen Nachbarschaft. Dafür sind die Vier- bis Fünf-Geschosser U-förmig gebaut, um kleine grüne Höfe und Vorgärten angeordnet. „Wir leben gern hier“, sagt Carel Mohn, der 2013 in die Siedlung an der Erich-Weinert-Straße zieht. 

Im September 2013 lässt die Deutsche Wohnen als Eigentümerin der Siedlung 13 Bäume in den Vorgärten fällen, zudem größere Gehölze entfernen. Carel Mohn erinnert sich: „Von einigen Anwohnern wegen des zuvor als unordentlich empfundenen Anblicks begrüßt, entstehen infolge der Aktion weitgehend unbepflanzte, sterile und artenarme Vorgartenflächen.“ Das zeigt sich in den folgenden Hitze-Sommern. Mohn: „Durch den fehlenden Bewuchs heizen sich die Flächen im Sommer extrem auf, es entfallen wichtige stadtökologische Funktionen wie Verdunstungskühlung, Staubbindung, Grundwasserbildung, Artenschutz.“

Die Anwohner:innen beschließen, etwas dagegen zu tun. Mehr als 50 fordern per Unterschriftensammlung Deutsche Wohnen und Bezirksamt auf, die vorhandenen Vorgärten sozial, naturverträglich und im Sinne des UNESCO-Welterbes weiterzuentwickeln. Sie wollen sich dabei gern einbringen. Nahezu zwei Jahre lang erfolgt keine Antwort. Carel Mohn bittet daraufhin erneut darum, die gefällten Bäume nachzupflanzen. Zumindest erhält er diesmal die Auskunft, dies würde geschehen. Doch weiter geschieht nichts. Mohn bleibt beharrlich und kann zumindest erreichen, dass im Frühjahr 2019, sechs Jahre nach den Fällungen, ein einziger Baum gepflanzt wird.

#prenzlauerberg
Von Engagierten gepflanzte Bäumchen sollten wieder entfernt werden. Fotos (2): Nadin Kastirke

ABGESTRAFTES ENGAGEMENT

Mehr geschieht nicht, trotz erneuter Bitten der Anwohner:innen. Stattdessen wird im Herbst 2020 ein weiterer Baum gefällt. Nun ergreifen die Engagierten selbst die Initiative. Sie pflanzen im Frühjahr 2021 die beiden Rotdorn-Bäumchen, spenden Geld für weitere. Das Grünflächenamt ist von dem Engagement weniger begeistert. Die Denkmalschutzbehörde wird eingeschaltet, Ende Oktober erfolgt die Aufforderung, die Bäume zu entfernen. Auch weitere Nachpflanzungen seien nicht möglich. Begründung: In der bauzeitlichen Vorgartengestaltung der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es keine Bäume. Es sei das denkmalpflegerische Ziel, die Bereiche auf diese ursprüngliche Situation zurückzuführen. Bedeutet: Ein Lebensumfeld wie vor 100 Jahren zu schaffen, ohne das Jetzt des veränderten Klimas zu berücksichtigen.

Die engagierten Bewohner:innen haben inzwischen ein ganzes Konzept für eine Zukunftswerkstatt erstellt. Gemeinsam mit allen Beteiligten – Eigentümerin, Behörden, Fachleuten – wollen sie ihre Siedlung lebenswert und zukunftsfähig weiter gestalten. Ganz im Sinne der Neuen-Bauen-Idee und des dahinter stehenden gesellschaftlichen Aufbruchs. Carel Mohn: „Die Wohnstadt steht beispielhaft für den Anspruch, gesellschaftliche Teilhabe, gesunde Lebensbedingungen und soziale Fairness miteinander in Einklang zu bringen.“ Die nun endlich erfolgten „positiven Signale“ von Bezirksstadträtin Rona Tietje nehmen sie nur zu gern wahr. Die Fortsetzung der Geschichte folgt.

-al-, Dez. 2021