Brücken bauen

Alexej Schreiner, von Sibirien nach Prenzlauer Berg
Alexej Schreiner, von Sibirien nach Prenzlauer Berg

Es ist schon weitgehend aus der Mode gekommen zu sagen, diese Straße hat irgendwie Flair. In Prenzlauer Berg mit seiner immer jünger werdenden Bevölkerung, gibt es angesagte Treffpunkte oder locations die total in und später auch wieder total out sein können. Das Flair hingegen, oder auch das Fluidum, bezeichnen mehr ein Gefühl, einen Gesamteindruck einer Örtlichkeit mit seinen Menschen drumherum. Daran musste ich denken, als ich mich mit dem Besitzer des Weinhauses und der Kunstgalerie GRUSIGNAC Alexej Schreiner zu einem Gespräch traf. Kaum hatten wir die Unterhaltung begonnen, sprang er auf und lief winkend auf die Straße, die Straße hinaus. Zurück kam er mit Manfred K. (74), einem sportlichen älteren Herrn, den er mir als einen seiner Gäste und Kunden vorstellte. Der ehemalige Bauingenieur wurde eher durch Zufall zum Weinliebhaber. In Mitte wohnend suchte er hier des öfteren seinen Zahnarzt auf und spazierte bei der Gelegenheit die Prenzlauer Allee rauf und runter. „Hier ist Fluidum vorhanden, nicht so wie in meiner Wohngegend, wo nur noch Supermärkte und große Filial-Ketten das Straßenbild bestimmen. Da passt der „Georgier“ gut rein.“ Die Kom­bi­nation von Kunst und Wein gefällt ihm, die Möglichkeit auf interessante Menschen unterschiedlichster Herkunft zu treffen, wenn wieder eine Vernissage mit Musik und Wein veranstaltet wird. Früher hat er selbst gemalt, und vor einigen Jahren kaufte er auch ein Bild, das ihm auf Anhieb gefiel. Der begeisterte Schachspieler trifft sich oft mit seinen ehemaligen Kollegen vom WBK. Alles Bauingenieure, berichtet er stolz und im August war er Teilnehmer einer Fahrradtour Berlin-Usedom. Doch nun müsse er los, der Tag sei noch jung. 

Häufiger Gast: Manfred K.
Häufiger Gast: Manfred K.

Weiter im Gespräch. Die „Zahnarzt­geschichte“ gibt einen Anknüpfungs­punkt für eine weitere Begebenheit. Alexej Schreiner musste wegen einer Nasen-OP ins Krankenhaus. In der HNO-Abteilung der Park-Klinik Pankow wurde er mit dem behandelnden Professor Behrbohm bekannt, der sich für russische und georgische Musik interessiert. Der einwöchige Krankenhausaufenthalt erbrachte neben seiner Genesung eine weitere Veranstaltung für sein Wein­haus: „Eine Reise in der Vergangenheit“. 1984 hatte Herr Behrbohm eine private Autoreise von Berlin nach Jerewan über die uralte georgische Heerstraße unternommen. Kalter Krieg und Eiserner Vorhang waren damals noch alltägliche Begriffe. Ein während der abenteuerlichen Reise gedrehter Amateurfilm ließ diese Zeit vor über sechzig Zuschauern im Grusignac wieder aufleben. 

Diese kleinen Geschichtchen machen es leicht, immer wieder vom eigentlichen Gespräch abzuschweifen. Und auch Herr Schreiner schaut öfter mal in Richtung Tür, ob er mir nicht einen „zufälligen“ und originellen Freund seines Wein­hauses präsentieren könnte. Ein Mann mit einem Hund, der immer zu dieser Zeit vorbeikäme, wäre noch so eine Möglichkeit. Doch heute bleibt er leider aus.

Masha Kholmogorova und Evgeny Makeev während der Vernissage
Masha Kholmogorova und Evgeny Makeev während der Vernissage

Also, noch einmal zu den Ursprüngen. Seit Februar 2003 betreibt Alexej, Dip­lom-Jurist und Kunstliebhaber, das Wein­haus GRUSIGNAC. Früher noch in Berlin-Grünau, in der doch recht ruhigen Regattastraße, zog es ihn bald in den belebteren Prenzlauer Berg. Wein und Kunst sind auch hier seit 2003 das Motto seiner Arbeit. Und dem stolzen Georgier, einem Aufsteller vor seiner Tür, könnte auch ein anderer Leitspruch entsprungen sein: Gott schuf den Georgier und der Georgier schuf ein göttliches Getränk, den Wein. Immerhin soll es in Georgien bereits vor 7000 Jahren eine bis heute als kachetisches Verfahren bezeichnete Art der Weinherstellung gegeben haben. Dazu wurden versiegelte Tontöpfe im Bo­den vergraben. Heute sind georgische Weine auf dem Weg in die internationale Spitzenklasse. Vor zwei Monaten wurden neun georgische Weine in Wien präsentiert. Zwei Gold-, vier Silbermedaillen und drei Weinsiegel waren die Preise für die Hersteller.

Doch wie war das mit der Kunst? Als er noch in Krasnojarsk als gut bezahlter Jurist arbeitete, begann er auch als privater Sammler sich mit Kunst zu beschäftigen. Viele Kontakte zu Künstlern wurden schon damals geknüpft und sind bis heute erhalten geblieben. So kommen Künstler aus den Weiten Sibiriens nach Berlin, wie Masha Kholmogorova und Evgeny Makeev, die es eigentlich nach Tokio und Schanghai viel näher hätten.   Die wunderbar humoristische Aus­­stellung „Auto fun art – die Poesie der Autos“ zeigte aber, wie sehr unsere Welt doch auch wieder klein und zusammengewachsen erscheint. Das Berliner Publikum ist sehr dankbar, berichtet Alexej, einer großen Vielfalt an künstlerischen Handschriften der Neuent­deckung der russischen Malschule und gleichzeitig den Künstlern selbst begegnen zu können. Bis zu zwei Wochen wohnen die Künstler in der recht gut ausgebauten Galerie und können so selbst wieder Kontakte knüpfen, Brücken bauen, für neue Projekte und Freund­schaften. So wie es im Mai diesen Jahres geschah. Als ein Paar aus Thüringen, ein deutscher Mann, der mit einer burjatischen Frau verheiratet ist, kurzerhand die ausstellenden Künstler für zwei Tage mit in ihre thüringische Heimat nahm. 

Und immer wieder geraten kleine Ge­schichten in den Verlauf des Gespräches. So wie die von den Leuten aus dem Nachbarhaus. Der 70. Geburtstag der Mutter aus dem Süden Deutschlands sollte eine große Überraschung werden. Eduard Schelomov, ein großer Meister im Portraitieren per Fotovorlage, der auch einige Prenzlberger schon portraitierte, schuf von sieben Familienmitgliedern ein zwei Quadratmeter großes Gemälde, und die von niemandem in solcher Weise erwartete Überraschung war perfekt. 

So viel Leben auf engem Raum – dabei habe ich noch gar nichts von seiner Frau Natalia und dem musisch begabten Töch­terchen Julia (6) berichtet ...

D.B. (Dez 2011)