MÜHLENKIEZ

Das streitbare Quartier

Der Mühlenkiez bewegt sich Schritt für Schritt auf einen Wandel zu – oder ist mittendrin, je nach Blickwinkel. Millionen sollen in die Sanierung der Infrastruktur fließen, mit der KulturMarktHalle ist ein Begegnungsort entstanden, und nördlich der Michelangelostraße ringen Senat und Anwohner um eines der größten Berliner Wohnquartiere. Eine Bestandsaufnahme.

Meine. Deine. So steht es in übergroßen handgeschriebenen Lettern an der Fassade der alten Kaufhalle. „Willkommen“ steht vor dem Eingang. Dazu ein paar Holzbänke im Freien, eine Veranstaltungstafel in Deutsch und Arabisch. Viel Aufbruch und Buntheit rundum und in der alten Kaufhalle, der ihr jahrelanger Verfall noch anzusehen ist. Doch das ändert sich – und die KulturMarktHalle ist das lebendigste, sichtbarste Zeichen dafür, dass sich im Mühlenkiez etwas tut. Das Quartier zwischen Greifswalder, Storkower, Gürtel- und Kniprodestraße ist seit knapp zwei Jahren das „Stadtumbaugebiet Greifswalder Straße“, was nichts anderes bedeutet, als dass Senat und Bezirksamt Millionen in den Wandel und die Sanierung stecken wollen. Mit einer der umfangreichsten Bürgerbeteiligungen der Berliner Geschichte, so das Versprechen.

KulturMarktHalle Berlin Prenzlauer Berg
Begegnungsort für alle im Kiez: Die KulturMarktHalle.

DAS UMSTRITTENE WOHNGEBIET

Die Bürger in den Plattenbauten beteiligen sich. Integrativ, wie die Engagierten der KulturMarktHalle, die ausdrücklich einen Ort vieler Kulturen betreiben. Vehement, ausdauernd, wie der Verein für Lebensqualität an der Michelangelostraße. Er streitet seit geraumer Zeit mit der Berliner Politik um die Zahl der neu zu bauenden Wohnungen nördlich der Magistrale. Von ursprünglich 2.500 sind derzeit noch 1.200 im Gespräch, ausgehandelt in vielen Runden Tischen und Werkstätten. Bis 2035 soll das neue Quartier zwischen den Plattenbauten der 70er Jahre entstehen, zuvor die Michelangelostraße selbst zum Boulevard mit Tramtrasse ausgebaut werden. Zu dicht, zu wenig Frei- und Grünraum, zu wenig Parkplätze – weniger statt der versprochenen mehr Lebensqualität, argumentiert der Verein und beharrt auf seinen Vorschlägen: Nicht mehr als 1.000 neue Wohnungen seien für den Mühlenkiez verträglich. Derzeit leben 7.000 Menschen unterschiedlicher Kulturen und Generationen in dem Gebiet, das 2017 seinen 40. Geburtstag feierte. Das große Geburtstagsfest richtete der Nachbarschaftsverbund Mühlenkiez aus, ein Zusammenschluss aus Anwohnern, Gewerbetreibenden und sozialen Einrichtungen. Seit sechs Jahren organisieren diese Aktiven u.a. auch zweimal jährlich Putz- und Aufräumaktionen. Eine weitere Facette beteiligter Bürgerinnen und Bürger.

Mühlenkiez Berlin Prenzlauer Berg
Staatliche Gelder fließen in Grünanlagen des Mühlenkiezes.

DIE SANIERUNGSPROJEKTE

Unterdessen nehmen sich Bezirksamt und Senat Stück für Stück die maroden Freiflächen, Schulen und Kitas vor, weil, so die Begründung „durch das Wohnungsneubau-Projekt mit einem zusätzlichen Einwohnerzuwachs zu rechnen“ sei und „die daraus entstehende neue Mischung von Alt- und Neubauquartier viele Chancen“ biete. In den kommenden Jahren sollen für Grün- und Freiraum, Bildung und Kultur, Freizeit und Sport, Gemeinwesen, Handel- und Versorgung, Mobilität und Infrastruktur bis zu 43,8 Millionen Euro fließen, um den Kiez „zu einem lebenswerten und attraktiven Ort zukunftsweisend weiterzuentwickeln.“ So steht es in dem ersten Infoflyer von Bezirk und Senat, der künftig zweimal jährlich mit Neuigkeiten erscheinen soll. 

Zu den Sanierungsvorhaben gehören kurz- bzw. mittelfristig ein Erweiterungsbau für eine Kita in der  Hanns-Eisler-Straße 82, die Erweiterung einer zweiten Kita und eine neue Mensa für die Paul-Lincke-Grundschule. Auch für die Grünflächen fließen Gelder: Rund um den Ballspielplatz, der saniert wird, sollen Bänke, Tische und zwei überdachte Sitzbereiche entstehen, neue Bäume gepflanzt und Beete angelegt werden.  Und auch der Einsteinpark erhält ab diesem Jahr eine Rundumerneuerung. Per Befragung im vergangenen Jahr entstand eine Prioritätenliste dafür: Fitnessgeräte, Bänke, ein Trinkbrunnen, eine Toilette und beleuchtete Hauptwege und ein neuer Spielplatz mit Klettergerüsten, Wippen und Schaukeln. Ab diesem Jahr soll es losgehen.

Dann sollen bereits 50 neue Sitzbänke im gesamten Mühlenkiez aufgestellt worden sein. Und auch für die Standortwahl dieser Sitzgelegenheiten gab es im vergangenen Monat eine Bürgerdiskussion.

Mühlenkiez Berlin Prenzlauer Berg
Wohnquartier aus den 70ern: Der Mühlenkiez hat derzeit rund 7.000 Einwohner. Fotos (3): al

DIE KULTURELLEN EXISTENZEN

In der KulturMarktHalle am östlichen Ende des Mühlenkiezes füllt sich derweil der Veranstaltungsplan. Die ehrenamtliche Initiative, hervorgegangen aus Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagierten, stemmt ein umfangreiches Programm: Lieblingskino und RepairCafe, Ausstellungen und Beratung. Sicherheitsberatungen mit der Polizei, Handarbeitswerkstätten, Kinderkurse. Oder einfach nur Nachbarschaftsklatsch. Klaus Lederer, Berlins Kultursenator, hatte das Projekt zur Eröffnung vor knapp einem Jahr ausführlich gelobt: „Die KulturMarktHalle steht stellvertretend für die Kreativität in unserer Stadt.“ Seit vergangenem Monat ist die Halle dafür täglich geöffnet.

In der KulturMarktHalle sollen neben kulturellen Veranstaltungen auch Projekte angehender UnternehmerInnen gefördert werden. Dabei handelt es sich um Geflüchtete, die mit Handwerk, Gastronomie und Kunst den Weg in die Selbständigkeit antreten wollen. Seit 2017 werden vier ausgewählte Teams begleitet und insbesondere bei der Ausarbeitung ihrer Geschäftsidee und allen damit verbundenen bürokratischen Schritten unterstützt. Eine dieser Geschäftsideen ist bereits Realität: das mobile „KulturMarktCafé“ als sogenanntes Tiny House steht draußen vor der Halle und wartet auf Open-Air-Wetter und Gäste.

-al-,  April 2019

Mehr zur KulturMarktHalle: www.kulturmarkthalle-berlin.de

Mehr zum Stadtumbaugebiet Greifswalder Straße: www.stadtumbau-berlin.de