HELMHOLTZKIEZ

Ruinen und Runder Tisch

In diesem Jahr feiert Deutschland 30 Jahre friedliche Revolution und Mauerfall. 1989 gilt als historischer Wendepunkt – mit der deutschen Wiedervereinigung als Höhepunkt. Wie alles begann – und wie sich diese wiedervereinigten ersten Jahre gestalteten, spiegelt auch und gerade der Helmholtzkiez.

Vor einigen Jahren entstand ein Band, der in wunderbarer Kleinarbeit die Wende- und Nachwende-Geschichten des Helmholtzkiezes recherchierte und in einzelnen Beiträgen vereint: „Kiezladen Zusammenhalt. Eine Dokumentation der Betroffenenvertretung Helmholtzplatz“ ist sein Titel. Und er wurde just zu dem Zeitpunkt veröffentlicht, als die Betroffenenvertretung offiziell ihre Arbeit beendete. Gegründet Anfang der 90-er Jahre, als Bürgerbeteiligungs-Gremium der Veränderungen im Sanierungsgebiet Helmholtzplatz, war mit dem Ende der Sanierung auch ihre Frist abgelaufen. Geblieben ist bis heute ihr Kiezladen Zusammenhalt in der Dunckerstraße 14 als Begegnungs- und Aktionsort der Bewohnerinnen und Bewohner im Quartier.

 

Bürgerkomitee als erstes Gremium

Doch zurück in die Wendezeit 1989/1990: Der Band berichtet chronologisch, in Fotos und in Interviews von den historischen Ereignissen, die sich auch am Helmholtzplatz überschlugen: Von der Gründung des Neuen Forums und eines Bürgerkomitees, das sich mit den Bezirkspolitikern bald zum Runden Tisch traf – um gemeinsam eine Sprache zu finden und den Kiez vor dem Verfall zu retten. Der Architekt und Bauingenieur Jörg Wappler war damals mit dabei. Er schildert beispielsweise, wie Mitglieder des Bürgerkomitees auf der Suche nach freiem Wohnraum durch den Kiez streiften, an Haustüren klingelten, Eigentumsverhältnisse erkundeten – und dann Listen mit leeren Wohnungen veröffentlichten. Er berichtet auch von der Gründung des Bürgerkomitees: „Im September 1989 war diese Bürgerversammlung und da kamen vielleicht 200 bis 300 Leute. Und aus dieser Versammlung heraus ist dann das Bürgerkomitee entstanden. Und in dieser Zeit war ich bei den Runden Tischen mit dabei. Die Runden Tische, die sich hier im Stadtbezirk getroffen haben, die vom Neuen Forum gefordert und dann auch gegründet wurden, die sich mit Sanierung im weiteren Sinne oder Stadtpolitik auseinandersetzten.“

Kiezladen Helmholtzkiez, Berlin Prenzlauer Berg
Sind wir ein blödes Volk? Reminiszenz an die friedliche Revolution 1989 am Helmholtzplatz, nur wenige Monate später. Repro: KLZ

Wappler, der heute ein Architekturbüro betreibt, berichtet auch, wie er sich – gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Bürgerkomitees -  über Sanierungsmöglichkeiten informierte, bei Ausflügen in Kreuzberg:  „Ich habe mich darüber informiert, wie Dächer ausgebaut werden. Das gab es ja im Osten nicht. Wo wurde hier im Osten damals ein Dach ausgebaut? Oder ich habe mir angeguckt, wie damals schon am Wassertorplatz in Kreuzberg Grauwasser gewonnen wurde. Ich fand das total spannend, was da in den Häusern in Kreuzberg gelaufen ist, die sich damit beschäftigt haben, Kraft -Wärme-Kopplung zu machen oder irgendwie damals schon eine Photovoltaikzelle aufs Dach zu stellen oder Warmwasser zu gewinnen oder eben das Brauchwasser wieder zu verwenden.“

 

Die ersten Hausbesetzer

Ein weiterer Zeitzeuge, der in dem lesenswerten Band „Kiezladen Zusammenhalt“ zu Wort kommt, ist Jens Oliva, einer der Hausbesetzer von einst. „Im September 1990 sind wir zu viert in der Dunckerstraße 14 eingezogen. Wir haben uns im zweiten Hinterhof in der vierten Etage die Räume wohntauglich gemacht. Wir durften erstmal viel reparieren – also Fenster und Türen einsetzen, Öfen instandsetzen, Wasser und Strom in Gang bringen. Dann haben wir das nächste halbe Jahr gemeinsam mit den anderen Bewohnern am Runden Tisch, dem Arbeitskreis Instandbesetzung, verhandelt. Dort waren 40 Häuser aus Prenzlauer Berg, die Wohnungsbaugesellschaft WIP, der Baustadtrat und die verschiedenen Parteien der Bezirksverordnetenversammlung vertreten. Wir haben verhandelt, damit die besetzten Häuser nicht geräumt werden. Und damit die Besetzer Hausverträge abschließen können. Im Januar 1991 wurden allen besetzten Häusern in Prenzlauer Berg Mietverträge und Hausverträge zugesichert, die dann im Einzelnen abgeschlossen werden konnten.“ 

prenzlig, Berlin Prenzlauer Berg
Die Kiezzeitung „prenzlig“ erschien von 1991 bis 1994. Foto: M. Steinbach

Die weiteren Initiativen

Erschüttert wird diese Verhandlungsphase durch wiederholte Brandanschläge auf die besetzten Häuser. Die Besetzer veranstalten kurzerhand mit den Nachbarn ein Straßenfest – hier entstehen die ersten Ideen für einen Kiezladen „Zusammenhalt“. Es entsteht ein Zusammenschluss der Gewerbetreibenden im Kiez, die ihre privaten Unternehmen aus der DDR ins Gesamtdeutschland herüberretten konnten. Es entsteht die Kiezzeitung „prenzlig“, die knapp vier Jahre lang die Sanierungs- und Alltagsgeschichten des Helmholtzkiezes begleitet.

-red-, Jan. 2019

Mehr zu lesen in: „Kiezladen Zusammenhalt. Eine Dokumentation der Betroffenenvertretung Helmholtzplatz“. kiezladenzusammenhalt.wordpress.com