PRENZLAUER BERG IM WINTER 2015 (3)

Der Moment gemeinsamer Phantasie

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Gruppenbild fürs Foto der neuen Produktion: Das Helmi auf der Probe im Ballhaus Ost.

Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Jahr. Es ist das Jahr 16 in diesem 3. Jahrtausend. Schwellen sind gute Orte für Grundsatz-Fragen. Wo steht Prenzlauer Berg, dieser unaufhörlich beliebte Stadtteil? Wohin verändert er sich – wenn er sich denn noch verändert? Eine Standortbestimmung mit den Visionären von Prenzlauer Berg.

Eigentlich ist die Probe schon beendet. Sie hatten heute einen Gast, mit dem sie über Marxismus und Kommunismus diskutiert haben. Die Theorie und die Praxen, oder solche, die sich dafür halten. Es geht um Hintergründe, um Annäherung an ihr neues Stück. Sie bleiben sitzen und reden weiter mit ihrem Gast. Dann wird noch ein Foto fürs Plakat gemacht. Also ziehen sie noch einmal Probenkostüme an und posieren vor der Kamera. Aus den gestellten Bildern wird schnell Spiel, werden Szenen und Momente, die möglicherweise als Material fürs Stück geeignet sind.

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Puppe und Mensch, die einen neuen Blick auf die Wirklichkeit werfen: Florian Loycke mit einer der „Helmi“-Figuren.

Am 13. Februar bringt „Das Helmi“ die Puppen-Menschen-Produktion „Große Vögel, kleine Vögel“ auf die Bühne – jene Parabel, mit der Paolo Pasolini im Italien der 60er Jahre die großen Menschheitsthemen, Ideologien und Werte, in die Erlebnisse zweier Wandernder verlegte. Der Marxismus galt dem Filmemacher damals als eine Form von Erlösung. So ändern sich die Zeiten, so ändert sich auch der Blick. Den „Helmis“ sind, zum Zeitpunkt unseres Gesprächs, die Themen des Suchens, Wanderns, der Sehnsüchte und der Brüche die zentralen. Da kommt die Frage nach den Visionen, die diese Theaterleute haben, hier und heute und für künftig, zum rechten Zeitpunkt.

Nun sind Theaterleute qua Amt Utopisten. Spielen unermüdlich die Wunden der Welt durch in der Hoffnung, wir, das Publikum, möge sie erkennen und beginnen, sie, die Welt,  zu verändern. Für die „Helmis“ mag das im Besonderen gelten. Denn sie spielen diese großen Menschheitsfragen und die Wunden der Welt mit ihren Puppen durch, mit unfertigen, behaupteten, grotesken, liebenswerten Schaumstoff-Gebilden. Das begann 2002 auf dem Berliner Helmholtzplatz, führte sie auf die Festivals und in die Theaterstädte der Welt und zudem an ihren festen Standort Ballhaus Ost.
Wer mit Puppen spielt, der hat sich seinen kindlich-visionären Sinn bewahrt. Und macht daraus Kunst.

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Das Stück entsteht aus der Textur der Gruppe, das sind drei der „Helmis“: Cora Frost, Solene Garnier, Florian Loycke. Fotos (3): al

„Wenn man Theater macht, dann arbeitet man aus dem Nichts“, sagt Cora Frost. Die Sängerin und Performerin, die „Das Helmi“ seit langem als Gast begleitet, leitet gemeinsam mit „Helmi“-Gründer Florian Loycke auch die aktuelle Produktion. Das Nichts steht am Anfang, da gerade Thema, Stück, Idee vorhanden sind. Dann füllt sich das Nichts mit weiteren Ideen, Tönen, Sätzen, Musik, mit Impulsen und konkreten Spiel-Vorgängen. Die „Textur der Gruppe“ nennt Cora Frost das. Das Stück entsteht aus dem, was alle Beteiligten mit ihrem Sein, mit ihren Ideen und Fragen beitragen. „Wir denken zusammen, sprechen und spielen zusammen. Vieles fällt weg, einiges bleibt da.“, sagt Florian Loycke. Diese Arbeitsweise, die dem Helmi eigen ist, ist bereits eine praktizierte Vision. Gemeinschaftlich etwas entstehen zu lassen, das von allen getragen wird, das auch alle trägt. Es trägt auf der Probe, an den Abenden der Vorstellung, weiter in die nächste gemeinsame Produktion. Diese Vision gelingt mal besser, mal weniger.
Die „Helmis“, sie sind eine kleine „Kunst-Bewegung“, wie Florian Loycke sie nennt: Musiker, Spieler, Maler, Tänzer. Zum Selbstverständnis der internationalen Truppe gehört es, „die Wirklichkeit neu zu öffnen und sich kritisch gegenüber einer überbordenden Vermarktung und Vereinnahmung zu zeigen“. Das geschieht mal durch anarchisch-komisches Spiel, mal durch bedrückend-berührende Momente – quer durch die Stoffe der Theatergeschichte und Filmgegenwart. Das geschieht mit Hilfe ihrer Puppen, die gleichberechtigt mit den Menschen agieren und wie zurückgewonnene Geschöpfe vom Kompost der Großstadt wirken. Recycelt, um die kleinen und großen Themen der Welt durchzuspielen.
„Das Helmi“ agiert ohne finanzielle Basisförderung, die Gelder kommen über Projektmittel und Auftritts-Einnahmen herein. Warum nimmt ein Theatermensch die Unwägbarkeiten und Unsicherheiten dieses Arbeitslebens in Kauf? Solene Garnier, die Musikerin, die inzwischen fest zum Ensemble gehört, antwortet auf diese Fragen mit ihren Erfahrungen, die sie zunächst als „Helmi-“Zuschauerin hatte. „Ich hatte nach den Vorstellungen ein sehr konkretes Freiheitsgefühl“. Das sind große ehrliche Worte. Florian Loycke antwortet mit den Momenten von Befriedigung, die ihm Theatermachen gibt: „Wenn man es wieder geschafft hat. Wenn man mit dem Publikum eine gemeinsame Phantasie entstehen ließ“.
Zurück zur aktuellen Produktion, zu Pasolini, der seine beiden Hauptfiguren auf eine Reise durch Ideologien, Religionen, Lebensentwürfe schickt. Damit liegt er für die „Helmis“ in der Zeit: „Wer weiß denn heute eine Antwort? Wichtig ist doch, dass man nach Antworten sucht.“, sagt Cora Frost.
Das Helmi ist rausgegangen in der Vorbereitung der Aufführung. Es hat gesucht und Fundstücke mitgebracht, hat sich auf eine Pilgerreise auch an verschiedene Berliner Orte begeben. Seine Fundstücke wird es ab dem 13. Februar im Ballhaus Ost präsentieren.
Das sind dann die Visionen, die in der Welt der Phantasie und Imagination durchgespielt werden. Befragt auf eine kleine, konkrete Vision für ihren Standort, Prenzlauer Berg, hat Florian Loycke diese Antwort: „Ich hoffe, dass die Menschen es bald satt haben, alle gleich auszusehen und nicht mehr miteinander zu reden. Die Leute haben doch ein Bedürfnis, gemeinsam nachzudenken. Wir müssen ihnen einen Grund geben, mit diesem Bedürfnis ins Theater zu gehen.“
Katharina Fial (Februar 2015)
www.manufaktur-fuer-feine-texte.de