Danke, Max Skladanowsky

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin
Kino Colloseum 1957, Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-46321-0001 / CC-BY-SA

Der Erfinder.
Ein bisschen streng sieht er ja aus, trotz seines schönen, schwarzen Schnurrbarts. Voller Tatendrang und preußischer Akkuratesse steht Max neben dem Vorführgerät. Der Mann könnte aber Dein Opa oder sogar Uropa sein. Denn, wenn man genau hinsieht, entstehen vor dem Betrachter alte Zeiten.
Ohne ihn, Max Skladanowsky, wäre die Welt nicht halb so interessant, weniger bewegend, viel weniger farbig. Wenn dieser Mann nicht gewesen wäre, gäbe es vielleicht keinen Film oder nicht in der Form, wie wir ihn uns heute ansehen. Max war einer der Geburtshelfer der Kinematografie! Er lieferte am ersten November 1895 im Berliner Wintergarten-Varieté eine wichtige technische Initialzündung und mit seinen Bildern aus dem „Bioscop“ die erste öffentliche Filmvorführung in Europa überhaupt. Wenn ihm auch die Vision über die weiteren Möglichkeiten und die Technik der bewegten Bilder und das kaufmännische Geschick fehlten, so bleibt er doch einer der Pioniere der Entwicklung des Films.

Das Kino.
Filme haben zu allen Zeiten fasziniert. Das bewegte Bild produziert die unmittelbarsten Assoziationen, erzeugt Gefühle und gibt Informationen. Berlin, die Großstadt, war immer auch eine Stadt des Kinos. Vor den Toren der Stadt, in Potsdam-Babelsberg lagen die großen Studios und bekannte Filme wurden dort produziert. Dann kam das Fernsehen und in den vergangenen beiden Jahrzehnten das Internet. Das Kino hat zu kämpfen, um seine Zuschauer zu halten, sie zu begeistern. In Berlin ist das Sterben der kleineren Kinos seit Langem im Gange – aber es gibt sie beide noch, die großen Ketten und die kleinen Häuser, die mit speziellen Filmen versuchen eine Nische zu finden oder einfach auf ein Stammpublikum setzen. In Prenzlauer Berg zum Beispiel sind sie beide vertreten, das große Colosseum, das Kino in der Kulturbrauerei oder die Kleinen, wie das Krokodil oder der Lichtblick. Jeder hat schon mal erlebt, wie ihn ein Kinofilm – in dieser besonderen Atmosphäre des großen Raumes zusammen mit vielen anderen Zuschauern –  in einer Weise gefesselt, beeindruckt, erheitert oder bestürzt hat, wie das vor dem heimischen Fernsehgerät oder Computer niemals möglich wäre. Mir fällt dieses Erlebnis ein: Im Colosseum  lief zu der Zeit der wunderbare, alle Altersgruppen ansprechende, Film „Comedian Harmonists“  von Joseph Vilsmaier. Das Kino war knackevoll, man hatte Mühe, aus dem Ein­gangs­bereich des Kinos in den Zuschauerraum zu gelangen, der restlos voll war. Dieser Film – es ging um eine begnadete Gesangsgruppe in politisch brisanter Zeit, um Berlin und natürlich auch um Solidarität, Freundschaft und Liebe – hat die Menschen gepackt, er bot eine Geschichte und hat sie voller Emotionen erzählt. Als der Streifen zu Ende war, saßen alle Zuschauer stumm und regungslos im Saal und erst nach und nach standen sie auf und gingen schweigsam oder mit weggewischten Tränen hinaus. Ja, es ist wahr: Diesen Film kann man sich heute auf Youtube ansehen, aber ist das vergleichbar mit der Atmosphäre vor einer großen Leinwand im Kino? – Einen Wermuts­tropfen muss man bei dem Thema Kino aber in den Wein kippen: Das in vielen Häusern inzwischen übliche Essen und Trinken – insbesondere von Popcorn – während der Filmvorführung ist zur Unsitte verkommen, verleidet einem oft das Kultur-Erlebnis.

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin
Lichtblick-Kino Kastanienallee 77

Der Film.
Solche Streifen, die Menschen begeistern, sie fesseln, die ein halbes Kino zum Schmunzeln bringen, gar in brüllendes Lachen oder in tiefes Nachdenken versetzen, gab es immer und wird es auch in Zu­kunft geben. Nur einige, wenige Beispiele für solche Kunstwerke: Luchino Viscontis „Rocco und seine Brüder“ mit der umwerfenden Annie Girardot, Carol Reeds originelles Zeitbild  über das Nachkriegs-Wien „Der dritte Mann“, Alfred Hitchcocks subtiler, beklemmender Horror­klas­siker „Psycho“, Roman Po­lans­kis (melo)-dramatischer und packender Wirt­­- schaftskrimi „Chi­na­­town“ mit dem furios spielenden Jack Nicholson oder Wong Kar-Wais leiser Film über eine unerfüllte Liebe „In the Mood for Love“. Oder nehmen wir Filme der jüngsten Zeit, wie die von James Man­gold mit „Walk the Line“, Michael Haneke mit dem für mich besten Film der letzten 20 Jahre „Das weiße Band“ oder Aki Kau­ris­mäki und Andreas Dre­­sen. Wer hat vor  Dre­sen schon einen so stimmigen, realitätsbezogenen und humorvollen Film über den Prenzlauer Berg, über Berlin gedreht, wie „Sommer vorm Bal­kon“? Und dann waren da auch immer wieder Literatur­verfilmungen, wie „Effi Briest“, „Bud­den­brooks“ oder – ganz aktuell – „Die Vermessung der Welt“ von Detlev Buck. Ich habe das Buch von Daniel Kehlmann gelesen, es ist ein großer Wurf. Wird der Film es ihm gleichtun? Manche Filme wird man in den großen Kinos nicht mehr sehen. Für Retrospektiven empfiehlt sich der Be­such kleinerer Kinos, wie z. B. des Licht­blick in der Kastanien­allee. Hier werden noch Filme großer Regisseure der Ver­gangenheit gezeigt (Buñuel, Pasolini, Fellini u.a.) – anspruchsvolle Kost, oft Kunstwerke, die Zeiten überdauern. Aber hier wird auch dem Berlin-Film die Ehre erwiesen. Ende Oktober liefen:  „Berlin  Alexanderplatz“  in der Verfilmung von 1931 (Paul Jutzi) oder „Der Himmel über Berlin“  von Wim Wenders.
Der Mann.
Max Skladanowsky  wurde am 30.4.1863 in Pankow bei Berlin geboren und starb am 30.11.1939 in Berlin. Seine Stadt hat es nach seinem Tod gut mit ihm gemeint, denn sie übernahm die Grab­pflege und 2010 ehrte man den Film-Pio­nier mit einem Stern auf dem Boule­vard der Stars. Im Potsdamer Film­­­mu­se- um befindet sich das Original des „Bioscop“. So wird man also im nächsten Jahr   hoffentlich überall in Berlin und Potsdam an seinen 150. Geburtstag denken. Ich mach das heute schon mal.
Danke, Max!
Jürgen Pahl (Nov 2012)