HELMHOLTZ-KIEZ

Verkehrswende von unten

Menschenfreundliche Städte, in der alle Verkehrsteilnehmenden gleiche Rechte und gleichen Raum haben. Der Verein Changing Cities setzt sich dafür deutschlandweit ein. Vom Sitz in der Lychener Straße im Helmholtzkiez aus, agieren die Aktiven gemeinsam mit anderen Engagierten auch für einen sicheren Prenzlauer Berg.

Er wäre vermeidbar gewesen. Der zweite Todesfall einer Radfahrerin Am Friedrichshain/Greifswalder Straße innerhalb weniger Monate. Seit langer Zeit plädieren Engagierte wie der Verein Pro Kiez Bötzow-Viertel und Changing Cities für mehr Sicherheit von Radfahrenden an dieser unübersichtlichen Kreuzung. Sie fordern eine Vorrangschaltung der Ampel bzw. ausgewiesene Fahrradstreifen. Der Senat unternahm nichts, auch nach Petitionen vom Pro Kiez Bötzow-Viertel nicht. Erst der Tod einer 56Jährigen, die im Dezember des Vorjahres von einem Lkw erfasst wurde, brachte nun endlich eine Lösung in Sicht. Wenige Monate zuvor war bereits ein Radfahrer an gleicher Stelle getötet worden. Und auch ein Fußgänger wurde 2021 an diesem gefährlichen Verkehrsknotenpunkt überfahren.

Dann gab es im Dezember eine Begehung mit den Senatsverantwortlichen. Konkret wurde vereinbart, dass der Senat nach Anhörung der Polizei und der Bezirke in wenigen Wochen 2,5 Meter breite Radfahrstreifen einrichten lässt. Sollte es sich zeigen, dass Autofahrende diese trotz Verbots nutzen bzw. überqueren, sollen sogenannte Leitboys als Schutz aufgestellt werden. Zudem werden alle bereits vorhandenen Radfahrstreifen auf der Kreuzung Greifswalder Straße/Prenzlauer Berg verbreitert und rot markiert. Wie zynisch, dass ein rot-rot-grüner Senat oft offenbar erst dann handelt, wenn Tote oder Schwerverletzte zu beklagen sind. Und wenn Bürger:innen per Petition und per Mahnwachen darauf hinweisen.

Auch ein weiteres Projekt für mehr Verkehrssicherheit ist noch zum Jahresende 2021 Realität geworden. Die Stargarder Straße ist endlich Fahrradstraße. Noch monatelanger Verzögerung hat auf der Verbindung zwischen Prenzlauer Allee und Schönhauser Allee nun der Radverkehr Vorrang. Das Schild „Fahrradstraße“ weist darauf hin. Neben der Choriner Straße hat Prenzlauer Berg nun seine zweite Fahrradstraße. Und zumindest neue und geschützte Radfahrstreifen in der Danziger Straße, einer weiteren verkehrsreichen und für Radfahrende gefährlichen Straße.

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Die Stargarder Straße ist nun Fahrradstraße, neben der Choriner die zweite in Prenzlauer Berg. Foto: al

DER RADVERKEHRSPLAN

Es scheint, dass die selbst ernannte Fahrradhauptstadt Berlin ohne die unermüdlichen Forderungen und das Engagement von Anwohner:innen und Aktiven nicht recht in die Gänge kommen wollte. Changing Cities in der Lychener Straße steht dabei stellvertretend für ein Netzwerk aus Menschen, die sich für eine lebenswerte Stadt einsetzen. Seit sechs Jahren engagieren sich die Ehrenamtlichen. Der Verein war es, der vor fünf Jahren per Volksentscheid einen Radverkehrsplan für die Hauptstadt forderte. Dieser verpflichtet das Land Berlin auf der Grundlage des Berliner Mobilitätsgesetzes zur deutlichen Verbesserung der Fahrradinfrastruktur. Im November des Vorjahres beschloss der Senat nun – mit einem Jahr Verspätung – diesen Radverkehrsplan. Er sieht den Bau von über 3.000 Kilometern neuer Radwege bis 2030 vor. Davon sollen 850 Kilometer mindestens 2,50 Meter breit sein. Antje Heinrich von Changing Cities: „Angesichts des Schneckentempos, mit dem die Berliner Verwaltung bisher arbeitete, ist die Umsetzung bis 2030 leider wenig realistisch. Deshalb wird eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung, die die Verantwortlichen kontrolliert und an ihrem Wort misst, auch weiterhin eine entscheidende Rolle spielen.“

 

DIE KIEZBLOCKS

Verkehrswende von unten – dafür steht auch das Kiezblock-Konzept, das Changing Cities in die Berliner Verkehrspolitik einbrachte. Kieze sollen von Durchgangsverkehr befreit werden, damit die Lebensqualität für Bewohner:innen und Besucher:innen deutlich erhöht werden. Mehr Raum, Stille und Sicherheit für sie auf den Straßen ihrer Quartiere, dazu bessere Luftqualität – dafür können sich die Menschen mit der Gründung eigener Kiezblocks einsetzen. Über 50 Kiezblock-Initiativen sind auf diese Weise bereits in der ganzen Stadt entstanden und machen in den Bezirken Druck. Für neun Kieze in ganz Berlin wurde im Jahr 2021 die Einrichtung von Kiezblocks beschlossen. In Prenzlauer Berg wird der Arminkiez zu solch einem Pilotprojekt, in Pankow das Komponistenviertel. Zwei weitere dieser Modellprojekte pro Bezirk fordert Changing Cities jährlich. „Nachhaltige Mobilität und Kiezblocks überall in Berlin sind nicht nur eine Frage von Klimaschutz, sondern ein Gebot der Umweltgerechtigkeit und der wirtschaftlichen Vernunft.“, so Kerstin Stark von Changing Cities. „Wir sind sicher, dass auch die in Zukunft verwirklichten Kiezblocks positive Beispiele für ganz Berlin und weitere Städte werden. Sie werden zeigen: Es geht auch ohne Durchgangsverkehr.“

 

DIE SICHERHEIT FÜR KINDER

Radfahrende Verkehrssicherheit für alle, vor allem für Kinder: Dafür engagierten sich Elterninitiativen gemeinsam mit Changing Cities am vergangenen Nikolaus-Tag. An vier Berliner Grundschulen und an zwei Kitas kamen Nikoläuse mit dem Lastenfahrrad zu Besuch. Im Gepäck: Neben Süßigkeiten auch sichere Schulwege. Die Straßen vor der Schule oder der Kita waren für den Autoverkehr gesperrt und für Kinder geöffnet. – Solche Aktionen sollen in diesem Jahr fortgesetzt werden.

red, Jan 2022

Mehr auf: changing-cities.org